Lange Zeit lautete eines der Versprechen der Stadt, in der Anonymität des Urbanen der sozialen Kontrolle des Dorfes zu entfliehen zu können. Die Anonymität war Teil des Freiheitsversprechens einer modernen, individualistischen Gesellschaft. In den letzten Jahren ist das Bedürfnis, engere soziale Beziehungen im Grätzel zu knüpfen und damit Nachbarschaft wieder in einem umfassenderen Verständnis zu leben, in erheblichen Teilen der Gesellschaft gestiegen. Verantwortlich dafür sind mehrere Phänomene: Die radikale Individualisierung der Gesellschaft als eine Folge einer neoliberalen Gesellschaftspolitik, die zur Vereinzelung und Vereinsamung vieler Menschen geführt hat. Der zunehmende Abbau des Sozialstaates, der dazu beiträgt Nachbarschaften wieder als lebensnotwendige Ressource zu sehen. Die Kommodifizierung städtischer Räume, die für einen Abbau von Orten des sozialen Miteinanders und für Ausschlüsse sorgt. Das Verschwinden von günstigen lokalen Nahversorgern und Treffpunkten wie Greißlern und Tschocherln. Genauso aber auch die Suche nach Auswegen aus der Krise der repräsentativen Demokratie, die Nachbarschaften als möglichen Ort für Selbstermächtigung und Demokratisierung (Stichwort: Munizipalismus) in den Blickpunkt rücken lässt, und neue Kompliz*innenschaften hervorbringt, die sich im Lokalen vernetzen, um die globalen Probleme der Stadt anzugehen.
Welche Chancen bietet also der Maßstab der Nachbarschaft, des Grätzels und Bezirks für Demokratisierung und Teilhabe, für die Stärkung der Zivilgesellschaft und des sozialen Zusammenhalts, für nachhaltigen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wandel? Welche politischen, wirtschaftlichen und planerischen Strukturen fördern eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement, Politik und Verwaltung? Welche Kompliz*innenschaften lassen sich auf lokaler Ebene knüpfen, um gemeinsam lebendige Stadtteile für eine heterogene Bewohner*innenschaft zu schaffen? Wie kann eine Ökonomie des Alltags aussehen, die lokale Strukturen stärkt, sinnstiftende Tätigkeit befördert, Care-Arbeit mitdenkt und das gute Leben für alle im Blick hat? Welche Räume braucht eine lebendige Zivilgesellschaft?
urbanize! 2018 verbindet Grätzel und Hood, und erkundet lokale Gestaltungsmacht in einer globalen Welt. Das Festival untersucht Nachbarschaft als Ort und Ausgangspunkt für Demokratisierung, Teilhabe und Empowerment, fragt nach Strukturen des Ermöglichens für eine kollaborative Stadtentwicklung in den Feldern Politik, Ökonomie und Planung, präsentiert internationale Good Practice und herausragende Projekte und Initiativen aus Berlin, London, Zürich und Warschau, erforscht mit zahlreichen Stadterkundungen die Nachbarschaft der Festivalzentrale Nordbahn-Halle, bringt Menschen und Wissen in zwei Vernetzungsforen zusammen und will mit einem großen Angebot an How to … Workshops zu Werkzeugen für Selbstorganisierung sowie Strategien und Taktiken für eine mündige Stadtgesellschaft mithelfen, vom Reden ins Handeln zu kommen. Es ist höchst an der Zeit, gegen die Feinde der offenen und sozialen Stadt und ihrer demokratisch verfassten Gesellschaft aufzustehen. Welcome - join us!
Das Studio Social Design der Universität für angewandte Kunst Wien lädt als Partnerin des urbanize! Festivals in Wien zu urbanen Erkundungen ein, die in wenigen Schritten, im kleinen Radius um die Nordbahn-Halle, unterschiedliche Welten durchwandern wie verbinden. Nachbarschaften zeigen sich auf einen zweiten, auf den geschärften Blick, die Wege der lokal-globalen Erkundungen führen hinter den gewohnten Anschein.
Dabei könnte der Name des Masterstudiums nahelegen, dass vor allem an großen Plänen, weitreichenden Strategien und visionären Modellen gearbeitet würde. Wenn die Rede auf Social Design kommt, liegen Widersprüche nahe und Fragen reißen auf: Wer gestaltet hier was und für wen? Wer steht auf wessen Seite? Und wie lässt sich einer Entwicklung entgehen, die vielleicht den einen, nicht jedoch den anderen zugute kommt?
In einer produktiven Nachbarschaft mit dem urbanize! Festival legen wir methodischen Wert auf eine Wahrnehmung der kleinen Schritte, auf respektvolle Nähe und darauf, mit hoher Aufmerksamkeit aneinander vorbeizugehen, keine falsche Eile aufkommen zu lassen und uns in Geduld und Engagement zu üben, wenn es darum geht, städtische Räume zu teilen, zu genießen und uns konsequent klarzumachen, dass es für verantwortliche Entscheidungen immer der Vielstimmigkeit bedarf. Die dichten Erkundungen lassen städtische Verschiedenheit erkennen, historische Schichtungen erleben und verstehen sich nicht zuletzt als Verhaltenslehren an uns selbst.
Das detaillierte Programm aller Veranstaltungen findet sich auf www.urbanize.at, weitere Informationen zum Masterstudium unter https://socialdesign.ac.at.